Der Mann im blauen Anzug

- Leseprobe -

Ich musste zugeben, dass mir bis zu diesem Moment nicht einmal bewusst gewesen war, dass Foxglove Hall tatsächlich über Stallungen verfügte. Für mich waren die gedrungenen Nebengebäude, vor denen Mr Reid oft auf einem wackeligen Holzstuhl saß und dampfenden Tee mit einem gehörigen Schuss Rum trank, nicht mehr gewesen als ein Ort, an dem er Schubkarre und Rasenmäher aufbewahrte und Ableger zog. Was auch immer das bedeuten mochte.
»Was sagst du, Darling?«, fragte Horatio.
Misstrauisch beäugte ich die grüngestrichenen Türen. »Aber ich parke den Rover hier.«
»Es bleibt ausreichend Platz, keine Sorge.«Die genüssliche Zufriedenheit in seiner Stimme erfüllte mich mit Entsetzen. Offenbar meinte er es ernst!
»Liebling, Mr Reid kann keinesfalls …« Das war alles, was mir in den Sinn kam, aber Horatio war bereits zu den Stallungen gelaufen und betrachtete die roten Backsteinmauern, als verstünde er etwas davon.
Stallungen! Wie zum Teufel war es mir denn gelungen, diesen Fakt zu übersehen? Es war ja nicht so, dass man über diese Ansammlung an rotem Backstein einfach hinwegschauen konnte.
Farbe blätterte von den großen Holztüren, als Horatio mit dem Fuß an ihnen schabte. »Die brauchen einen neuen Anstrich und das Mauerwerk scheint mir ein wenig unter dem Efeu gelitten zu haben, aber alles in allem macht das Gebäude doch einen soliden Eindruck. Nichts, was man nicht mit ein wenig Mörtel in den Griff bekäme. Was meinst du, Darling?« Er grinste mich an und nahm sogar die Pfeife aus dem Mundwinkel. »Zwei oder drei?«
»Zwei oder drei?«, wiederholte ich dumpf und hastete ihm auch schon erneut hinterher, als er, ohne meine Antwort abzuwarten, über den Kies marschierte, den sumpfgewordenen Rasen überquerte und hinter dem Haus in Richtung der im Nebel liegenden fahlen Weiden deutete.
»Poloponys, Darling. Sag, Mrs Buckley hat dir nicht zufällig auch die Wiesen hinter Foxglove Hall verkauft, hm? Vielleicht bis zum Bach hinab?«
»Die Wiesen?« Ich starrte auf meine Füße herab, die langsam in den feuchten Boden einsanken, den wir für gewöhnlich als Trampelpfad nutzten, der mir heute jedoch die Lederschuhe zu ruinieren trachtete.
Der Geruch nach aufgewühlter Erde, feuchtem Gras und aufziehendem Regen hing würzig und schwer in der Luft.
»Nun, wir werden eine Koppel brauchen. Besser noch zwei und das Spielfeld nicht zu vergessen. 15 Hektar müssen es schon sein.« Er nickte. »Ja, das wird sich hervorragend ausgehen. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mir einmal den Kaufvertrag ansehe, den Mr Barbour dich hat unterzeichnen lassen?«
»Liebling, hör mal …«, versuchte ich es, aber Horatio war abermals dabei, mir zu entwischen.
Allmählich bekam ich wirklich das Gefühl, dass er das mit Absicht tat.
Ich schlang meinen Mantel enger um mich, blickte noch einmal auf die traurig aussehende Weide hinaus, deren gemauerte Einfriedung in dem feuchten Nebel verschwand, der sich seit dem Morgen nicht einen Deut gelichtet hatte, und kehrte dann missmutig ins Haus zurück.
Poloponys. Das war doch lächerlich. Was sollten wir denn mit Poloponys anstellen?
»Mit wem willst du denn bitte schön Polo spielen?«, fragte ich Horatio, den ich in der Bibliothek wiederfand, wo er vollkommen wahllos Bücher aus den Regalen nahm und auf der Fensterbank stapelte.
»Hm?«
»Wozu brauchst du drei Poloponys, wenn du doch niemanden hast, mit dem du spielen könntest?«
»Ach, Woolridge wird sich sicher überreden lassen. Er ist ja recht sportlich.«
»Wunderbar, dann fehlen dir nur noch sechs weitere Leute.«
Er schlug das Buch, in das er eben – weiß Gott warum – seine Nase gesteckt hatte zu. »Du hast recht! Ich werde mindestens vier Ponys anschaffen müssen, dann haben wir eine komplette Mannschaft zusammen. Besser noch fünf. Nur für den Fall, dass eines der Tiere ausfällt. Bestimmt ließe sich irgendwo ein ehemaliges Rennpferd auftreiben, das man umschulen kann.« Klackernd tippte er das Mundstück seiner Pfeife gegen die Zähne.
»Und wer wird euer Gegner sein? Wer spielt gegen Archer, dich und drei reiterlose Ponys, verrate es mir!«
»Gewiss hätte Mr Reid Interesse.«
»Ich bitte dich! Denk an das bedauernswerte Tier!«
»Der Vikar!«
Ich prustete, bis mir das Lachen ob seines allzu gewieften Blickes im Halse stecken blieb.
»Wie stünde es denn mit dir, Mimi?«
»Mir? O nein, mein Liebster, ich werde mich ganz sicher nicht auf den Rücken eines unschuldigen Pferdes setzen und mich ausgerechnet von dir mit einem Mallet über den Platz jagen lassen. Oder planst du etwa deine Brille zu tragen? Ich muss dich warnen, jemand könnte dich damit sehen.«
»Ach, unter dem Helm wird man mich wohl kaum erkennen«, antwortete er unbekümmert. »Mal ganz abgesehen davon ist das hier Norwood, nicht Santa Monica; ich werde es schon verstehen, den hier so zahlreich herumlungernden Fotografen zu entgehen.«
»Ich könnte den Wunsch verspüren, Froggy für ein paar Tage zu uns einzuladen.«
»Um dich zugleich mit Lettie herumzuschlagen? Was für eine leere Drohung, Darling. Darf ich deinen so geschickt vorgetragenen Argumenten entnehmen, dass du mit meinen sportlichen Plänen nicht recht einverstanden bist?«
Ich seufzte und griff nach seiner Hand. »Kannst du denn nicht Tennis oder Golf spielen, so wie jeder andere Mann? Croquet, wenn du denn unbedingt einen Mallet halten musst.«
Mokant hob er eine Augenbraue. »Doch was, wenn Polo erneut olympische Disziplin wird? Du wirst mir doch nicht meine Chancen auf die nächste Olympiade verderben wollen, Darling.«
»Nichts könnte mir ferner liegen, Liebster«, entgegnete ich spitz. »Bist du denn gut?«
Er zuckte mit den Schultern. »Lass es mich so ausdrücken: Die Teams in denen ich bisher gespielt habe, haben öfter gewonnen als verloren.«
»Wie schön, aber es ändert nichts: Wir haben wirklich keinen Platz, Liebling. Nicht für drei Poloponys und ganz sicher nicht für fünf! Wir müssten die Sättel unterbringen, das Zaumzeug, Futter für die Tiere, von der Poloausrüstung ganz zu schweigen; allein dafür würden wir bereits einen ganzen Raum benötigen.«
»Wenn wir die Stallungen vergrößern würden …«
»Horatio, nein!«
Doch offenbar sah sich mein werter Gatte nicht gewillt, seine fixe Idee so schnell aufzugeben. »Du könntest dein Auto in Old Barn unterstellen. Du verbringst ohnehin mehr Zeit dort als auf Foxglove Hall.«
Damit hatte er wohl nicht gänzlich unrecht. Was nicht daran lag, dass ich mit 15 Zimmern nur wenig anzufangen wusste – oder gar der Katze, die alle so reizend fanden, die mich hingegen höchstens bis aufs Blut reizte –, nein, auch Verdas unvermittelte Beliebtheit bei den Zeitungsleuten und diversen Damen, die sie noch vor einigen Wochen nicht einmal eines Blickes gewürdigt hätten, war mir ein Dorn im Auge.
Selbstverständlich gönnte ich ihr ihren Erfolg von Herzen, aber war es denn einzusehen, dass mein Telefon nun mitten in der Nacht schellte, nur weil irgendein Sternchen in Hollywood von einer Freundin gehört hatte, das eine Bekannte meinte, die große Juliet Porter hätte gesagt, bei Verda Reading wäre eine Frau in den besten Händen und bekäme ein Kleid geschneidert, von dem man noch in Jahrzehnten schwärmen würde? Vielleicht hätte ich auch selbst gern einmal mit der Garbo oder Norma Shearer telefoniert, ja, das war schon möglich. Was nützte es denn, mit einem berühmten Schauspieler verheiratet zu sein, wenn dieser beschlossen hatte, sich eine Auszeit zu nehmen und seine allzu verfügbare Zeit lieber mit wunderlichen Träumen von Pferdesport denn dem Lernen neuer Texte, der Suche nach einem britischen Agenten oder dem Besuch einiger ausschweifender Partys voll Glanz und Glamour verbrachte.
Und war das alles meine Schuld?
Natürlich war es das!
Ich hatte ja unbedingt eines von Verdas Kleidern mit nach London nehmen müssen. Ich musste ja der zauberhaften Juliet Porter erzählen, dass meine ehemalige Angestellte eine mehr als nur geschickte Schneiderin war, und ich war es gewesen, die darauf bestanden hatte, dass Verda zu uns ins Savoy kam, damit sie Juliet kennenlernte.
Konnte ich denn damit rechnen, dass diese sich ein geradezu absurd hinreißendes Kleid auf den herrlichen Leib schneidern ließe, mit dem sie es wagte, zu ihrer eigenen Scheidungsanhörung zu kommen? Natürlich mussten die Fotografen sie in einem solchen Zauberwerk ablichten und natürlich konnte Juliet nicht anders, als so freundlich sein und einem jeden den Namen der geschickten Schneiderin nennen, ob er ihn wissen wollte oder nicht.
Keine Woche später stellte sich Verda einen bequemen Stuhl und ihr Strickzeug neben das Louis-Quatorze-Schränkchen auf dem das Telefon stand, weil sie es nicht mehr ertrug, während der nicht abreißen wollenden Gespräche tatenlos im Salon zu stehen. Immerhin fanden sich seitdem ausreichend Zigaretten und Schreibpapier in der Schublade. Manches Mal sogar eine halbleere Dose Kekse.
Schmollend zupfte ich an Horatios Kragen. »Und das genügt dir, mein Haus in ein Paradies für zu kurz geratene Pferde zu verwandeln? Wirst du die Heuballen im Ballsaal lagern? Oh, gib ihnen bitte nicht den Wein aus dem Keller zu trinken, Mr Reid sähe es gar nicht gern, wenn eine Herde betrunkener Pferde seinen Garten ruiniert und in der Hälfte der Flaschen ist ohnehin nur noch Essig.«
»Keine Poloponys dann?« Ernst sah er mich an.
»Tu was du nicht lassen kannst, um deiner so offensichtlichen Langeweile zu entgehen, aber tu es nicht hier. Mir zuliebe. Foxglove Hall ist nicht dazu geschaffen, den Riviera Club zu geben.«
Wild blitzte es in seinen Augen auf und ich wurde meiner kleinen Unachtsamkeit nur zu schmerzlich gewahr.
»Ha! Ich wusste es!«, rief er.
»Gar nichts weißt du.«
»O doch, meine Liebste. Warst du in Kalifornien? Hast du mich in meinem Country Club spielen sehen?«
Die linke Augenbraue nach oben gezogen musterte er mich eindringlich, mit jener Mischung aus Skepsis und unverschämter Befriedigung, die mir die Fingerspitzen kribbeln ließ und eindrücklich vermittelte, warum der Mann es von der Theaterbühne auf die Leinwand geschafft hatte, nur damit so alberne Hühner wie ich, in samtenen Sesseln wohlig erschauern konnten.
»Nein«, sagte er. »Nein, das hätte ich gewusst. Also musst du Fotos gesehen haben. Wo? Modern Screen? Im Film Pictorial?«
Achtlos zuckte ich mit den Schultern. Ersteres. Aber das würde ich ihm sicher nicht auf die hübsche Nase binden.
»Welches Interesse hätte ich wohl daran, dich in Reitstiefeln zu bewundern?«, sagte ich leichthin.
»Aber gerade das versuche ich doch in Erfahrung zu bringen, Darling.«
Nun, aus dieser Bredouille würde ich mich so schnell nicht befreien können, wenn ich nicht wollte, dass dieses Gespräch auf dem guten Teppichboden endete – und die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass ich Teppichböden bei gewissen Aktivitäten nur wenig Zuneigung entgegenbrachte –, also beschloss ich, Horatio zu geben, wonach ihn so dringend verlangte: einige wohlversteckte Schmeicheleien. Unbedingt musste ich ihn wieder auf eine Bühne schaffen, wenn er schon so wenig Interesse daran zeigte, die ihm zugesandten Drehbücher zu lesen. Er hatte ja nicht einmal das Angebot angenommen – und lukrativ wäre es noch dazu gewesen – für irgendeinen schottischen Krawattenhersteller zu werben. Einigen Tagen in Schottland und einer Unterbringung in einem luxuriösen Hotel, in dem ich mir die Nägel machen lassen konnte, während er für Fotos posierte, wäre ich keinesfalls abgeneigt gewesen.
Wenn ich vielleicht den angeblichen Chief Inspector Appleby anrufen könnte, dass er Horatio etwas überaus Diplomatisches zu tun gab …?
Andererseits gab es da auch Aktenmappen voller weiblicher Namen; Elmer hatte von Fotografien gesprochen – nein, daran rührte ich vorerst besser nicht.
»Vielleicht«, gab ich also augenrollend zu und betrachtete dabei die Bücher, die auf der Fensterbank lagen, »das wäre durchaus möglich, habe ich zufällig einmal ein Bild von dir abgedruckt gesehen. Du weißt ja, Verda lässt ihre Magazine überall herumliegen.«
»Und hat dir gefallen, was du gesehen hast?« So sprach mein Schauspieler dunkel, samtweich und wohl kalkuliert, und meine Knie entschieden, Teppich oder nicht, dass dies der geeignete Zeitpunkt für einen kleinen Schwächeanfall ihrerseits war. Lächerlich leicht zu beeindruckende Knie waren das.
Ich räusperte mich und hob den Kopf, Horatio anzublinzeln. »Dazu kann ich nicht viel sagen, fürchte ich. Ich war wohl zu sehr damit beschäftigt mir anzusehen, welche Kleider und Mäntel Claudette Colbert und die Lombard getragen haben. Eine Stola aus Wolfspelz im Juni, wie herrlich gewagt von Ms Colbert. Aber deine Ehefrau sah auch ganz hinreißend aus.«
»Meine Ex-Frau«, korrigierte er augenblicklich und sein Blick verfing sich irgendwo auf halbem Wege zu meinem Kinn.
»Gab es nicht auch einen Pokal? So ein kleines, kläglich aussehendes Dingelchen? Blech, nehme ich an?«
»Ich werde Juliet bitten, ihn herschicken zu lassen.«
»Ach, lass nur, Liebling. Es ist ja nicht so, als würde ich mich wirklich für deine kalifornischen Freizeitbetätigungen interessieren.« Ich tätschelte seine Wange und zwang meine verräterischen Knie dazu, mich wenigstens bis zur Tür zu tragen, wo ich mich noch einmal umwandte. »Und wenn ich ehrlich sein soll: Weiß steht dir nicht sonderlich.«

Die einzelnen Bücher der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden, der jeweilige Fall ist in sich abgeschlossen. Ein besseres Verständnis für die Charaktere und ihre Handlungen erhält man allerdings, wenn man die Bücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens liest.